Re: [Talk-at] Neighbourhoods in Wien

2018-01-30 Diskussionsfäden Rudolf Mayer

Hi!

Ich finde die Diskussion an sich interessant, lobenswert auch, dass es 
noch nicht in einen flame war ausgeartet ist :-)


Zur Sache - ich habe das Gefühl, dass in den letzten Jahren gerne auf 
alte (oder auch neu erfundene) "Gebietsnamen" (ich nenne das mal so, 
weil die in der Größe, Art, etc. ja oft sehr unterschiedlich sind) 
verwendet werden, um in irgendeiner Form eine lokale Identität zu 
stiften. Oft ist das meiner Meinung nach aber nur Marketing, z.b. um ein 
neues Wohnprojekt "cool klingen zu lassen".



Wenn jemand in "Nikolsdorf" wohnt, das aber noch nie gehört hat, und vor 
allem wenn das dann auch noch von anderen bestätigt wird, dann ist das 
schon ein gutes Zeichen dafür, dass dieser Name eigentlich nichts 
bedeutet. Und daher auch in eine aktuellen Karte nicht hinein gehört - 
und damit dann auch weniger in die OSM gehört.


Gut, Google Maps findet zwar auch was zu "Nikolsdorf, Wien", aber halt 
eigentlich im falschen Bezirk, nämlich Wieden: 
https://www.google.at/maps/place/Nikolsdorf,+Wien/@48.1876829,16.3646634,17z/data=!3m1!4b1!4m5!3m4!1s0x476da9d4cf827133:0xf9db5f5a8e0acbc6!8m2!3d48.1877509!4d16.3668342



Wenn man jedoch Nikolsdorf als neighbourhood (oder ähnliches) eintragen 
soll, weil es das nun mal so gegeben hat - dann trage ich morgen auch 
"Haferpoint" ein.


Hat sicher noch kaum jemand gehört, ich kenne den Namen auch erst seit 
einem guten halben Jahr (obwohl ich seit 20 Jahren fast täglich dort 
vorbeikomme), weil sich ein Restaurant in der 
Gußhausstrasse/Argentinierstrasse so (um)benannt hat.
Und in der Speisekarte nun in guter Hipster Manier erklärt, woher der 
trendige "neue" Name denn kommt. Im Web findet man dazu was im Wien Wiki 
(https://www.wien.gv.at/wiki/index.php?title=Argentinierstra%C3%9Fe) und 
in einer Wikipedia Liste 
(https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stra%C3%9Fennamen_von_Wien/Wieden), 
wobei dort behauptet wird, dass nur die Argentinierstrasse früher so 
hieß, die erste Quelle meint, dass die "Umgebung" so hieß.


Aber wenn die Leute das früher so genannt haben, dann reicht das schon, 
um eingetragen zu werden, oder? (ja, überspitzt dargestellt!)


Lg
Rudi

___
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Re: [Talk-at] Neighbourhoods in Wien

2018-01-30 Diskussionsfäden Friedrich Volkmann

On 30.01.2018 19:05, Stefan Nagy wrote:

Ich habe die erste Hälfte meines Lebens im Bezirk Mödling verbacht.
Mödling ist nicht nur irgendeine Ansiedlung mit einem historisch
überlieferten Namen, sondern ein gegenwärtiger Bezugspunkt. Ich bin in
Laxenburg aufgewachsen. Und so wie die allermeisten Kinder und
Jugendlichen im Bezirk bin ich in eine der vielen Sekundarschulen
Mödlings gegangen. Am Abend sind wir, wie viele andere, in Mödling
weggegangen.

Selbst Laxenburg geht problemlos als Bezugspunkt durch. Kinder gehen da
in die Volks- und vielleicht Musikschule; manche sind bei der
Pfadfinder-Gruppe, manche gehen zur Freiwilligen Feuerwehr, manche
gehen mit den Eltern zum Tennis-Klub; viele treffen sich (so
unterschiedlich ihre Leben sonst auch sind) dann im Sommer im Bad usw.
usf. Und dann kommt da auch noch der ADEG dazu, bei dem man sich sieht
(der glaub ich jetzt aber zugesperrt hat); der Bäcker, die Apotheke
usw. usf.

Durch solche gemeinsamen Bezugspunkte entsteht Idenität. Man ist
Laxenburger. Die anderen sind Biedermannsdorfer. Auf einer anderen
Ebene ist man mit denen eins.


Das war bis zu meiner Jugend auch in Wien so. Man ging zum Greißler 
einkaufen, saß in der Freizeit im Hof der Wohnhausanlage und tratschte mit 
den Nachbarn. Meine Großmutter ging alle Wege zu Fuß. Was weiter weg war, 
lag außerhalb ihres Lebensbereichs. Meine Eltern hatten unterschiedliche 
Dialekte, man konnte am Dialekt erkennen, aus welchem Teil Wiens jemand kam. 
Das ist in den letzten Jahrzehnten alles verloren gegangen, und das ist eine 
Entwicklung, die auch Mödling und seine Nachbargemeinden betrifft:



Also wenn man Leute aus einem anderen
Bundesland kennenlernt, werden die Differenzen zum Achauer
vernachlässigbar; dann ist man Mödlinger. Aber wenns um Wien geht…
Viele Mödlinger die ich kenne haben ein Wien-Bild, das starke
Ähnlichkeiten zu dem hat, das ich sehr ähnlich von Steirern kenne
(trotz der viel kürzeren Luftlinie). Sie haben ihr Bild primär aus den
Medien – und dann kennen sie noch die Mariahilfer Straße, den Graben
und die Kärtner Straße. Ihr Zentrum ist aber eben nunmal Mödling, nicht
Wien.


Heute pendeln viele Mödlinger nach Wien zur Arbeit, und alle Wiener, die es 
sich leisten können, siedeln aus Wien raus ins Umland. Die Durchmischung ist 
hier in vollem Gange, und du bist dafür das beste Beispiel. Du hast deine 
Identität als Laxenburger aufgegeben und im Gegenzug auch zum 
Identitätsverlust der Nikolsdorfer beigetragen.


Das Phänomen gibt es nicht nur im Raum Wien. Im Höhlenkataster wird eine 
Kristallhöhle bei Deutsch Altenburg geführt. Sie wurde in den 40er-Jahren 
durch einen Felssturz verschüttet oder zerstört. Vor 2 Wochen war ich dort 
um herauszufinden, ob von der Höhle noch was übrig ist bzw. ob sich die 
ungefähre Lage auf dem Grundstück noch eruieren lässt; aber auch um die 
Anwohner zu fragen, ob sie was von der Höhle wissen. Die heutige Bewohnerin 
war aber an der Höhle überhaupt nicht interessiert, und ein Nachbar sagte 
nur, er sei erst vor kurzem eingezogen und kenne nichts und niemanden. Ein 
Haus weiter ist ein Geschäftslokal. Dessen betreiber sagte, er führe dieses 
Lokal seit 45 Jahren und es gebe in der Umgebung keine Höhle. Als ich ihm 
erzählte, dass sich 50m von seinem Lokal entfernt eine Höhle mit schönen 
Kristallen befunden hatte, zeigte auch er sich desinteressiert, und ihm war 
anzumerken, dass er sich ein Ende des ohnehin kurzen Gesprächs herbeiwünschte.


Heute identitfiziert man sich nicht mehr mit einem Ort, sondern über 
Interessen, und die sozialen Kontakte finden nicht mehr an der Bassena oder 
im Wirtshaus statt, sondern am Handy und auf Facebook. Auch unsere 
Diskussion jetzt gerade ist nicht eine zwischen zwei Laxenburgern, sondern 
eine zwischen zwei Openstreetmappern, die einander nie gesehen haben.



glaubst du, die Leute von links und rechts der
Nikolsdorfer Straße erkennen sich dort als Nikolsdorfer?


Es wär interessant, von Tür zu Tür zu gehen und sie zu fragen. Zumindest ob 
sie was von Nikolsdorf wissen. Bei den jüngeren, zugereisten sind die 
Antworten vorhersehbar, interessant sind die Senioren. Wenn du Lust hast, 
können wir das mal gemeinsam versuchen. Ich wohne auch nur 1½ km entfernt.



Meine Erfahrung ist eben die, dass man in freien Projekten mit derart
unterschiedlichen Leuten zu tun hat, dass man immer wieder bemerkt,
dass man ganz unterschiedliche Weltwahrnehmungen hat und ab und zu – so
sehr man sich auch bemüht – einfach aneinander vorbeiredet. Da finde
ich sowas wie die Dritte Meinung eine ganz gute Sache.


Nur ist hängt es dann halt davon ab, wer der Dritte ist. Wenn der zufällig 
ausgewählt wird, ist auch seine Meinung zufällig.



Ich würde den Projekten nicht vorwerfen, etwas falsch zu machen. Es ist
eben wirklich beachtlich, wie unterschiedlich man Dinge einschätzen
kann; wie wenn man auf unterschiedlichen Planeten leben würde.
Angesichts dessen ist es eher ein Wunder, wie gut nicht autoritär
geführte Projekte funktionieren.

Re: [Talk-at] Neighbourhoods in Wien

2018-01-30 Diskussionsfäden Gabriel Pfuner




> Am 30.01.2018 um 19:05 schrieb Stefan Nagy :
> 
> Am Sonntag, den 28.01.2018, 23:46 +0100 schrieb Friedrich Volkmann:
>> On 28.01.2018 13:04, Stefan Nagy wrote:
>> Es geht nicht darum, dass der Name der nach wie vor
>> existierenden Vorstadt Nikolsdorf vergessen wurde; die
>> Vorstadt existiert nicht mehr.
 
 Sie existiert schon noch, sie ist nur mit anderen Vorstädten
 zusammengewachsen - genauso wie Wien im Südwesten mit
 Perchtoldsdorf, Brunn am Gebirge, Maria Enzersdorf, Hinterbrühl,
 Gießhübl, Mödling, Guntramsdorf, Wiener Neudorf und Vösendorf
 siedlungsmäßig zusammengewachsen ist, nur administrativ sind die
 noch eigenständig. Wenn man die place-Nodes der Wiener Vorstädte
 rauslöscht, müsste man konsequenterweise auch die place-Nodes von
 Mödling usw. löschen und nur die admin-Grenzen lassen.
>>> 
>>> Für mich ist der Vergleich so absurd, dass ich gar nicht weiß, was
>>> ich da antworten soll… Also wir haben da offensichtlich so
>>> unterschiedliche Weltwahrnehmungen, dass eine diesbzügliche
>>> Verständigung schlicht unmöglich ist. Auch OK – sowas gibts.
>> 
>> Nach den bisherigen Erfahrungen bin ich überzeugt, dass eine
>> Verständigung auch in diesem Punkt zwischen uns möglich ist,
>> zumindest so weit, dass du meinen Vergleich nicht als absurd
>> ansiehst. Du hast zwar geschrieben, dass es nicht darum geht, dass
>> der Name vergessen wurde, aber ich habe doch den Eindruck, dass der
>> Bekanntheitsgrad des Namens den Ausschlag gibt, warum du Nikolsdorf
>> aus der Karte raus haben willst und Grinzing oder Mödling nicht. 
>> Wenn du schon als Kind von Nikolsdorf gehört hättest, in welcher
>> Weise auch immer, wär dessen Existenz für dich so selbstverständlich,
>> dass du den Thread gar nicht gestartet hättest.
> 
> Ich habe die erste Hälfte meines Lebens im Bezirk Mödling verbacht.
> Mödling ist nicht nur irgendeine Ansiedlung mit einem historisch
> überlieferten Namen, sondern ein gegenwärtiger Bezugspunkt. Ich bin in
> Laxenburg aufgewachsen. Und so wie die allermeisten Kinder und
> Jugendlichen im Bezirk bin ich in eine der vielen Sekundarschulen
> Mödlings gegangen. Am Abend sind wir, wie viele andere, in Mödling
> weggegangen.
> 
> Selbst Laxenburg geht problemlos als Bezugspunkt durch. Kinder gehen da
> in die Volks- und vielleicht Musikschule; manche sind bei der
> Pfadfinder-Gruppe, manche gehen zur Freiwilligen Feuerwehr, manche
> gehen mit den Eltern zum Tennis-Klub; viele treffen sich (so
> unterschiedlich ihre Leben sonst auch sind) dann im Sommer im Bad usw.
> usf. Und dann kommt da auch noch der ADEG dazu, bei dem man sich sieht
> (der glaub ich jetzt aber zugesperrt hat); der Bäcker, die Apotheke
> usw. usf.
> 
> Durch solche gemeinsamen Bezugspunkte entsteht Idenität. Man ist
> Laxenburger. Die anderen sind Biedermannsdorfer. Auf einer anderen
> Ebene ist man mit denen eins. Also wenn man Leute aus einem anderen
> Bundesland kennenlernt, werden die Differenzen zum Achauer
> vernachlässigbar; dann ist man Mödlinger. Aber wenns um Wien geht…
> Viele Mödlinger die ich kenne haben ein Wien-Bild, das starke
> Ähnlichkeiten zu dem hat, das ich sehr ähnlich von Steirern kenne
> (trotz der viel kürzeren Luftlinie). Sie haben ihr Bild primär aus den
> Medien – und dann kennen sie noch die Mariahilfer Straße, den Graben
> und die Kärtner Straße. Ihr Zentrum ist aber eben nunmal Mödling, nicht
> Wien.
> 
> Kommen wir zu Nikolsdorf: Wo sind da gegenwärtige gemeinsame
> Bezugspunkte? Das Einzugsgebiet vom Hofer ist viel größer (sonst würde
> er schon lange nicht mehr existieren); das vom Hartmannspital erst
> recht. Was gibt es noch… Der Rudolf-Sallinger-Park liegt schon nicht
> mehr am Grund des ehemaligen Nikolsdorf… Das "Fit Inn" immerhin zur
> Hälfte. Aber glaubst du, die Leute von links und rechts der
> Nikolsdorfer Straße erkennen sich dort als Nikolsdorfer?
> 
> Sagen wir, in den Volksschulen rund um die Nikolsdorfer Gasse würde man
> den Kindern von Nikolsdorf, Hungelbrunn usw. erzählen; deren Geschichte
> ausbreiten und behaupten, diese Vorstädte würden heute noch existieren.
> Glaubst du ernsthaft, dass diese Identitäten gelebt werden würden, wenn
> die Bezugspunkte der Kinder meistens außerhalb der jeweiligen Grenzen
> sind (und zwar von dem Moment an, wenn ihre Eltern mit ihnen das erste
> mal das Haus verlassen, um in einem nahe gelegenen Park spazieren zu
> gehen)? In weniger als fünf Minuten Gehzeit ist man in (nun in den vo
> dir vertretenen Grenzen des frühen 19. Jahrhunderts ausgedrückt)
> Matzleinsdorf, Margareten, Wieden, Hungelbrunn und am Laurenzergrund –
> je nachdem in welche Himmelsrichtung man schlendert.



Als ein Anrainer Nikolsdorf will ich kurz eine paar Worte dazu sagen, seit fast 
10 Jahren wohne ich nun hier und habe noch nie jemanden getroffen der sich im 
5ten Bezirk an diese Namen orientiert oder sich damit identifiziert. (Auch 
Kollegen in anderen Bezirken verwenden die historischen Orts Namen nicht wenn 

Re: [Talk-at] Neighbourhoods in Wien

2018-01-30 Diskussionsfäden Stefan Nagy
Am Sonntag, den 28.01.2018, 23:46 +0100 schrieb Friedrich Volkmann:
> On 28.01.2018 13:04, Stefan Nagy wrote:
> > > > > Es geht nicht darum, dass der Name der nach wie vor
> > > > > existierenden Vorstadt Nikolsdorf vergessen wurde; die
> > > > > Vorstadt existiert nicht mehr.
> > > 
> > > Sie existiert schon noch, sie ist nur mit anderen Vorstädten
> > > zusammengewachsen - genauso wie Wien im Südwesten mit
> > > Perchtoldsdorf, Brunn am Gebirge, Maria Enzersdorf, Hinterbrühl,
> > > Gießhübl, Mödling, Guntramsdorf, Wiener Neudorf und Vösendorf
> > > siedlungsmäßig zusammengewachsen ist, nur administrativ sind die
> > > noch eigenständig. Wenn man die place-Nodes der Wiener Vorstädte
> > > rauslöscht, müsste man konsequenterweise auch die place-Nodes von
> > > Mödling usw. löschen und nur die admin-Grenzen lassen.
> > 
> > Für mich ist der Vergleich so absurd, dass ich gar nicht weiß, was
> > ich da antworten soll… Also wir haben da offensichtlich so
> > unterschiedliche Weltwahrnehmungen, dass eine diesbzügliche
> > Verständigung schlicht unmöglich ist. Auch OK – sowas gibts.
> 
> Nach den bisherigen Erfahrungen bin ich überzeugt, dass eine
> Verständigung auch in diesem Punkt zwischen uns möglich ist,
> zumindest so weit, dass du meinen Vergleich nicht als absurd
> ansiehst. Du hast zwar geschrieben, dass es nicht darum geht, dass
> der Name vergessen wurde, aber ich habe doch den Eindruck, dass der
> Bekanntheitsgrad des Namens den Ausschlag gibt, warum du Nikolsdorf
> aus der Karte raus haben willst und Grinzing oder Mödling nicht. 
> Wenn du schon als Kind von Nikolsdorf gehört hättest, in welcher
> Weise auch immer, wär dessen Existenz für dich so selbstverständlich,
> dass du den Thread gar nicht gestartet hättest.

Ich habe die erste Hälfte meines Lebens im Bezirk Mödling verbacht.
Mödling ist nicht nur irgendeine Ansiedlung mit einem historisch
überlieferten Namen, sondern ein gegenwärtiger Bezugspunkt. Ich bin in
Laxenburg aufgewachsen. Und so wie die allermeisten Kinder und
Jugendlichen im Bezirk bin ich in eine der vielen Sekundarschulen
Mödlings gegangen. Am Abend sind wir, wie viele andere, in Mödling
weggegangen.

Selbst Laxenburg geht problemlos als Bezugspunkt durch. Kinder gehen da
in die Volks- und vielleicht Musikschule; manche sind bei der
Pfadfinder-Gruppe, manche gehen zur Freiwilligen Feuerwehr, manche
gehen mit den Eltern zum Tennis-Klub; viele treffen sich (so
unterschiedlich ihre Leben sonst auch sind) dann im Sommer im Bad usw.
usf. Und dann kommt da auch noch der ADEG dazu, bei dem man sich sieht
(der glaub ich jetzt aber zugesperrt hat); der Bäcker, die Apotheke
usw. usf.

Durch solche gemeinsamen Bezugspunkte entsteht Idenität. Man ist
Laxenburger. Die anderen sind Biedermannsdorfer. Auf einer anderen
Ebene ist man mit denen eins. Also wenn man Leute aus einem anderen
Bundesland kennenlernt, werden die Differenzen zum Achauer
vernachlässigbar; dann ist man Mödlinger. Aber wenns um Wien geht…
Viele Mödlinger die ich kenne haben ein Wien-Bild, das starke
Ähnlichkeiten zu dem hat, das ich sehr ähnlich von Steirern kenne
(trotz der viel kürzeren Luftlinie). Sie haben ihr Bild primär aus den
Medien – und dann kennen sie noch die Mariahilfer Straße, den Graben
und die Kärtner Straße. Ihr Zentrum ist aber eben nunmal Mödling, nicht
Wien.

Kommen wir zu Nikolsdorf: Wo sind da gegenwärtige gemeinsame
Bezugspunkte? Das Einzugsgebiet vom Hofer ist viel größer (sonst würde
er schon lange nicht mehr existieren); das vom Hartmannspital erst
recht. Was gibt es noch… Der Rudolf-Sallinger-Park liegt schon nicht
mehr am Grund des ehemaligen Nikolsdorf… Das "Fit Inn" immerhin zur
Hälfte. Aber glaubst du, die Leute von links und rechts der
Nikolsdorfer Straße erkennen sich dort als Nikolsdorfer?

Sagen wir, in den Volksschulen rund um die Nikolsdorfer Gasse würde man
den Kindern von Nikolsdorf, Hungelbrunn usw. erzählen; deren Geschichte
ausbreiten und behaupten, diese Vorstädte würden heute noch existieren.
Glaubst du ernsthaft, dass diese Identitäten gelebt werden würden, wenn
die Bezugspunkte der Kinder meistens außerhalb der jeweiligen Grenzen
sind (und zwar von dem Moment an, wenn ihre Eltern mit ihnen das erste
mal das Haus verlassen, um in einem nahe gelegenen Park spazieren zu
gehen)? In weniger als fünf Minuten Gehzeit ist man in (nun in den vo
dir vertretenen Grenzen des frühen 19. Jahrhunderts ausgedrückt)
Matzleinsdorf, Margareten, Wieden, Hungelbrunn und am Laurenzergrund –
je nachdem in welche Himmelsrichtung man schlendert.

> Ich habe mein ganzes Leben im 10. Bezirk gewohnt. Laaerberg,
> Wienerberg, Oberlaa, Unterlaa, Hansson-Siedlung, ich kannte alles wie
> meine Westentasche. Als aber in den Nachrichten stand, dass die U1
> nach Rothneusiedl verlängert werden soll und dort ein Einkaufscenter
> und ein Fußballstadion gebaut werden sollen, fragte ich mich, wo oder
> was Rothneusiedl denn sein soll. Im Stadtplan auf wien.at wird
> Rothneusiedl mitten in den Äckern angezeigt. Tatsä

Re: [Talk-at] Neighbourhoods in Wien

2018-01-30 Diskussionsfäden Stefan Nagy
Am Montag, den 29.01.2018, 13:49 +0100 schrieb Kevin Kofler:
> Stefan Nagy wrote:
> > Wenn du von Flurnamen, Namen von Bergen, Tälern, Wäldern, Wiesen,
> > Bächen, Steigen etc. schreibst, dann ist das etwas völlig anderes.
> > Ich gehe davon aus, dass die Flur, der Berg, das Tal, die Wälder,
> > Wiesen, Bäche, Steige nach wie vor da sind. Wenn die ehemalige Flur
> > jetzt eine Ansammlung von Kreisverkehren, Parkplätzen und Hofer-,
> > Billa-, OMV-, usw. usf. Filialen ist, dann würde ich wieder meinen
> > Standpunkt vertreten: Dann ist die Flur tot. Das Shopping-Paradies
> > kann sich natürlich gern des alten Namens bedienen – dann ist er
> > wieder da. Das ändert aber nichts daran, dass die Flur tot ist.
> 
> Genau das ist aber in Nikolsdorf nicht passiert, da sehe ich auf der
> Karte keinen einzigen Kreisverkehr oder Parkplatz und nur einen
> Diskonter, der nicht wesentlich größer ist als andere Filialen
> überall in Wien.
> 
> Die Umgebung mitten in Margareten würde sich auch nicht für
> derartige Konstruktionen eignen, das Problem betrifft eher ländliche
> Gemeinden bzw. in Wien höchstens Gegenden am Stadtrand wie das von
> Friedrich Volkmann erwähnte Rothneusiedl.

Ich bin offensichtlich wirklich unfähig, meine Position auch nur
halbwegs verständlich zu formulieren… Sorry dafür. Vielleicht klappts
ja diesmal.

In dem oben von dir zitieren Absatz ging es mir nur darum, dass wenn
eine Flur keine Flur mehr ist, sie eben nicht mehr existiert und alles
andere, was auf dem Grund errichtet wird und den Namen der ehemaligen
Flur trägt, lediglich auf dieses Etwas *übertragen* wurde. Es wäre in
meinen Augen also abwegig, in einem solchen Fall zu behaupten, die Flur
wäre noch immer da – nur eben bebaut.

Eine kleine Chologie zu einer der Vorstädte, um die es in dieser
Diskussion geht: Nikolsdorf wird im 16. Jahrhundert vom damaligen
Besitzer der Herrschaft Margareten planmäßig angelegt. Anfang des 18.
Jahrhunderts gelangt es durch Kauf an die Gemeinde Wien, im Laufe
dieses Jahrhunderts wächst es mit zwei benachbarten Vorstädten
(Hungelbrunn, Laurenzergrund) zusammen – das sieht man recht gut auf
der Karte von 1773. 1812 ist es dann auch bereits mit den anderen
beiden benachbarten Vorstädten (Matzleinsdorf und Margareten)
verschmolzen. Erst 1850 wird Nikolsdorf in die Stadt Wien eingemeindet;
da hört es dann auch auf, eine administrative Einheit zu sein.

Natürlich können wir nicht nachvollziehen, wo die Bezugspunkte der
damaligen Menschen waren; wie ihre lokalen Identitäten gestrickt waren.
Aber vom Zentrum der deutlich älteren, ehemaligen Vorstadt Margareten
bis nach Nikolsdorf sind es ca. 400 Meter, ungefähr 5 Gehminuten. Auf
der anderen Seite stand seit 1725 in der Mitte der heutigen – auch
damals schon so breiten – Wiedener Hauptstraße die alte Florianikirche
(die war ein, zwei Gehminuten entfernt). Ich würde aufgrund der
Umgebung also eigentlich sogar bezweifeln, dass die Bewohner im 19.
Jahrhundert noch einen starke lokalen Bezug hatten. Aber bitte –
immerhin gab es jemanden, der 1912 noch eine Postkarte mit dem "letzten
Rest vom alten Nikolsdorf" gezeichnet hat… Also ganz verschwunden wars
noch nicht.

Im Jahr 2016 – ungefähr 200 Jahre nachdem diese Vorstadt mit vier
benachbarten Vorstädten zusammengewachsen und 166 Jahre nachdem sie in
die Stadt Wien eingemeindet worden war – wird sie als heute existentes
Neighbourhood auf OSM eingetragen; mit dem Argument: die Vorstadt
existiert nach wie vor. Und wenn man diese Vorstadt aus OSM entfernen
würde, müsste man folgerichtig auch den place-node von Mödling löschen.

Ich versuche den Bogen zurück zur Flur zu spannen: Wenn wir nun
herausfinden, dass vor der geplanten Bebauung im 16. Jahrundert auf dem
zirka 400 x 150 Meter großen Grund eine benannte Flur war – müssten wir
nicht auch deren Namen eintragen? Natürlich nicht, denn die Flur gibt
es nicht mehr (ich hoffe, zumindest darüber herrscht Einigkeit). Der
Grund wurde bebaut und damit hörte die Flur im 16. Jahrhundert auf zu
existieren.

Eine Vorstadt kann auf unterschiedlichste Weisen definiert werden. Mir
fällt aber kein einziges Kriterium ein, das es zulässig erscheinen
ließe, Nikolsdorf heute als Vorstadt zu bezeichnen. Alles, was
Nikolsdorf als Vorstadt ausgemacht hat, ist vergangen.

Und damit verschiebt sich die Frage, ob es angemessen ist, den Namen
Nikolsdorf auf OSM einzutragen, auf gegenwärtige Phänomene: Wurde der
Name der alten Vorstadt auf ein neues Phänomen – ein Grätzl wäre am
naheliegendsten – übertragen? Wenn ja, wäre das ein sehr, sehr gutes
Argument für place=neighbourhood. Aber anstatt uns mit
gegenwartsbezogenen Fragen zu beschäftigen, finden wir uns in der
Diskussion hier permanent im Zeitraum vom 16. bis zum 19. Jahrundert
wieder…



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