morb,
wenn ich dich richtig verstanden habe, ist das allgemeine Prinzip, für das du argumentierst, die Wahlfreiheit bzw. die Selbstbestimmung in der persönlichen Lebensgestaltung des Einzelnen. Du siehst in dem konkreten Fall des Verbotes mit eigenen Organen zu handeln die Verfügungsgewalt über den eigenen Körper - als eine Ausprägung des allgemeinen Prinzips der Selbstbestimmung - angetastet. Ich glaube bis hierhin, sind sich auch bisher alle Diskutanten ziemlich einig. Ich nehme dazu an, dass wir uns einig sind, dass die Möglichkeit, Wahlfreiheit und Selbstbestimmung faktisch auszuüben, an konkrete empirische Gegebenheiten gebunden ist, wie z.B. das Vorhandensein eines Körpers.

Jetzt stellst du die Frage, wer das Recht hat (bzw. wer es "erlügt", wie du ein wenig polemisch unterstellst), Deine Wahlfreiheit bzw. Selbstbestimmung oder die eines anderen z.B. beim Verkauf der eigenen Organe anzutasten bzw. einzuschränken. Hier beginnt offenbar der Dissens. (Und es ist für diese Diskussion hier sicher hilfreich, sich wechselseitig zumindest lautere Beweggründe für die Argumentation zu unterstellen, auch wenn man die Argumentation nicht immer schlüssig findet. Schade, dass manche bagasch-diskussionen sehr schnell beim gegenseitigen Weltverschwörungsverdacht oder Spießer-/ bzw. Faschismusvorwürfen enden.)

Folgende These möchte ich, Herrn Ablingers Argumentation zuspitzend, einbringen: Wer seine Organe (aus welchen Gründen auch immer) nach und nach verkauft, handelt nicht nur in dem Sinne dumm, wie jemand, der sein Auto zu einem ganz schlechten Preis verkauft, sondern in einem ganz elementaren Sinne "dumm". Begründung: Der Organverkäufer entledigt sich nämlich, je nachdem welches Organ er verkauft, der grundsätzlichen Möglichkeit, die Wahlfreiheit selbst faktisch auszuüben. Er benutzt seine Selbstbestimmungsfähigkeit, um seine Selbstbestimmungsfähigkeit zu zerstören. Der dumme Autoverkäufer zerstört nur seine Möglichkeit, mit dem Auto zu fahren. Der Organverkäufer zerstört seine prinzipielle Möglichkeit überhaupt frei zwischen verschiedenen Lebensmöglichkeiten zu wählen, weil sein Organbestand irgendwann erschöpft sein wird. Hier liegt meines Erachtens der prinzipielle Unterschied, nach dem du zuletzt gefragt hast.

Jetzt kann man einwenden, dass das eben eine besonders effiziente Form des Freitods ist, der ja aus guten Gründen nicht verboten ist. Wenn das jemand aus freien Stücken, selbstbestimmt, das heißt ohne Zwang tut, dann ist das meines Erachtens auch wirklich unproblematisch. Solche Fälle sind aber sehr selten anzutreffen. Die Leute in Brasilien oder sonst wo auf der Welt, die ihre Organe verkaufen, tun das zwar selbstbestimmt, aber nicht weil sie eine besonders große Wahlfreiheit hätten. Sie haben oftmals keine andere Wahl, ihren Lebensunterhalt und damit ihre Selbstbestimmungsfähigkeit für die jeweils nächsten Monate zu sichern, als diese Selbstbestimmungsfähigkeit per Organverkauf schrittweise zu zerstören. Da sitzen sie in einer schönen Falle. Es ist eine Zwickmühle, die sie im Extremfall vor die Wahl stellt: lieber gleich verhungern oder ein paar Jahre von den eigenen Organen leben.

Aber zurück in unsere Breitengrade und zurück zu deiner Frage: Wie kommen wir also dazu, uns das Recht zu "erlügen", anderen die Verfügungsgewalt über den eigenen Körper abzusprechen? Darf man jemanden vor dieser (besonderen, prinzipiell anders gearteten Form der) Dummheit schützen, wie das Kollege Ablinger fordert?

Meine Antwort lautet: Ab und zu darf das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen in Teilen begrenzt werden, damit die Selbstbestimmungsfähigkeit als Ganze überlebensfähig ist. Ich interpretiere das Verbot des Organhandels weniger als Eingriff in meine Rechte, sondern eher als Schutzvorrichtung für Notlagen. Möglicherweise empfindest du, morb, das für dich immer noch zu paternalistisch. Mir gehts da anders. Ich bin ganz froh, in einem Land zu leben, das ganz bestimmte Geschäfte untersagt, in denen Menschen in einer existenziellen Notlage von anderen Menschen ausgenutzt werden können und deren Selbstbestimmungsfähigkeit dadurch systematisch zerstört wird. (Auch wenns sicher viele Fälle von Geschäften gibt, wo gerade dieser Mechanismus nicht funktioniert, und das nicht nur beim Handel mit Organen.).

Wenn jemand soweit ist, dass er an seine leiblichen Reserven gehen muss, um sein Überleben zu sichern, dann ist es mit der zu schützenden Verfügungsgewalt nicht mehr weit her, bzw. die ist dann eh beim Teufel. Wenn jemand nicht in einer Notlage ist, und trotzdem z.B. eine Niere verkaufen will, um sich z.B. die neue S-Klasse leisten zu können, dann sind seine Freiheitsrechte tatsächlich ernsthaft berührt. Aber mal im Ernst: Die Anzahl solcher Fälle dürfte hierzulande verschwindend gering sein. Das müssen wir, um der Selbstbestimmung derjenigen, die in einer Notlage sind, in Kauf nehmen. Es geht mit dem Verbot des Organhandels doch nicht darum, ihm irgendwelche willkürlichen, partikularen Moralvorstellungen aufzudrängen (das wäre tatsächlich unethisch), sondern es geht zum einen um die Verhütung der Gefahr, dass Menschen reihenweise in Notlagen ausgenutzt werden. Diese Gefahr ist viel größer. Dieses Motiv halte ich für wenig spießig.

Zum anderen geht es darum, dass die Legalisierung des Organhandels sehr schnell zu einer "schiefen Ebene" zuungunsten der selbstbestimmungsfähigkeit vieler materiell schlechter Gestellter würde. Gegeben sei ein Szenario wie z.B.: "Ich bin verwitweteR Mutter/Vater von drei Kindern und krankheitsbedingt arbeitsunfähig. Bevor ich einen Anspruch auf soziale Unterstützung habe, muss ich erstmal meine nicht absolut lebensnotwendigen Organe verscherbeln..." Wäre Organhandel legal, gäbe es bestimmt irgendeinen Schlaumeier, der auf diese Idee kommen würde. Das wäre dann eine Solidargemeinschaft, die ihren Namen leider nicht verdiente. Und, viel wichtiger, das ursprüngliche Gut, das es zu verteidigen galt, die freie Selbstbestimmung in Form körperlicher Verfügungsgewalt, hätte sich durch besonders konsequente Ausübung selbst zerstört.

Also, morb, keine Sorge, zumindest ich werde dir nicht mit privaten Moralvorstellungen in dein Schlafzimmer oder sonst wo hineinpfuschen. Wenn ich irgendwo herumpfusche, dann nur aus der gänzlich unprivaten Sorge um meine und deine empirische Fähigkeit selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen.

gruß,
Frank



Franz Ablinger schrieb:
danke, dass du mir gelegenheit gibst, den punkt noch genauer
herauszuarbeiten. dein statement trifft fast den kern der sache:

es geht nicht darum, jemanden das recht abzusprechen, seine organe
zu verkaufen, sondern darum, jemanden die pflicht aufzuerlegen, als
letzten ausweg die integrität seines körpers anzutasten.

siehe dazu den in diesem thread bereits geposteten link:
"Wenn jemand existenziell bedroht ist, weil er nicht genug Geld hat, um den Lebensunterhalt seiner Familie zu finanzieren, muss er meiner Meinung nach die Möglichkeit zu einem geregelten Verkauf von Organen haben." (Peter Oberender, Deutschlandradio Kultur, 22.12.2006)

wenn sich jemand prostituiert, um zu geld zu kommen, dann bleiben
wenigstens meist nur körperliche schäden - der hauptschaden ist
hoffentlich nur seelischer natur.
seinen körper stückerlweise verkaufen zu MÜSSEN, um den
lebensunterhalt finanzieren zu können, finde ich unmenschlich.

ich persönlich möchte niemandem das recht auf selbstbestimmung absprechen. ich finde vernünftig, wenn man organhandel aus
ethischen gründen untersagt, um menschen vor dummheit zu bewahren,
bin in diesem punkt aber flexibel. wenn wer eine bessere lösung
weiss: her damit, dann gründen wir eine partei.
ich möchte allerdings jedem menschen die möglichkeit geben, auf sein verfügungsrecht über den eigenen körper im notfall nicht zurückgreifen zu müssen.
wahrheit, toleranz, freiheit - aber auch selbstlosigkeit.

    fra

links:
http://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Oberender


-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: Sie ist uns dienlich. [mailto:[EMAIL PROTECTED] Im Auftrag
von morb
Gesendet: Freitag, 1. Juni 2007 09:22
An: BAGASCH@LISTS.MONOCHROM.AT
Betreff: Re: [monochrom] AW: [monochrom] AW: [monochrom] de grote donorshow


ich möchte in einem land leben, in dem organhandel nicht aus fundamental-religiösen, sondern aus ethischen gründen untersagt ist.

und woher erluegt man sich das Recht jemandem die Verfuegungsgewalt ueber seinen Koerper abzusprechen? Was ist daran ethisch? Normalerweise finden sich diese Denkmuster nur bei den aergsten Spießern - die moechten auch gern mit ihren privaten Moralvorstellungen im Leben anderer Leute herumpfuschen, bis ins Schlafzimmer. Wo ist der prinzipielle Unterschied?

"Ein freier Mensch muß es ertragen können, daß seine Mitmenschen anders handeln und anders leben, als er es für richtig hält, und muß sich abgewöhnen, sobald ihm etwas nicht gefällt, nach der Polizei zu rufen." (L. v. Mises)


und solange sich ausser mir noch hinreichend viele leute finden,
die so ein system weiterhin stützen, möge das auch weiterhin so bleiben.

ich glaub da musst du dir keine Sorgen machen

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