"technologischer Autismus" ist ein schöner Ausdruck. Erinnert mich an etwas, das ich häufig erlebe. Jemand geht zu einem Programmierer mit einem Problem: Die Anwendung verhält sich falsch. Sagt der Programmierer dazu: Das ist nicht falsch, das ist richtig so, und erklärt als Begründung den Algorithmus, dem das Programm folgt. Dass der Anwender etwas anderes braucht und ihm das aktuelle Verhalten gar nicht nutzt, das bleibt dem Programmierer eine fremde Vorstellung. Programmierer erkennen Bugs, haben aber manchmal keine Augen für Designfehler.

Gewiss haben viele Programmierer kein Verständnis für die Sprachen. Das ist hier nicht nur eine Frage der mangelnden Bildung und wirkt sich negativ auf die Kultur aus, sondern schränkt meiner Meinung nach die Ausübung des Berufes ein. Gefährlich wird die Angelegenheit dann, wenn, wie in der Gegenwart geschieht, nicht nur einzelne Programmierer, sondern das ganze Fach das sprachliche Verständnis verliert. Wenn jahrelang keine Innovationen an den Sprachen als solchen, sondern nur an den Systemen zu verzeichnen sind. Wenn der Albtraum der einzigen Sprache Ungeheuer wie die Ver-XML-isierung der Welt erzeugt.

Francesc

Am 19.09.2014 14:28 schrieb Patrick Bucher:

Ich weiss nicht, wie es euch geht, aber bei vielen meiner Kollegen aus
der IT-Branche spüre ich geradezu eine Geringschätzung für das
gesprochene/geschriebene Wort und für natürliche Sprachen heraus.

Wir hatten vor einiger Zeit eine Diskussion, in der es um die
Übersetzung einer Webseite und die damit einhergehenden Mehraufwände
ging. Ein Kollege kam mit der seiner Meinung nach idealen, wenn auch
utopischen ‹Lösung› auf: Man sollte einfach alle Sprachen ausser
Englisch komplett abschaffen. Nicht nur auf unserer Webseite, sondern
weltweit. Die Unmöglichkeit der Umsetzung und all die unerwünschten
Seiteneffekte - man bedenke nur die Verarmung der Literatur, ja gerade
der Poesie - spielten dabei keine Rolle.

Eine solche Haltung - ich bezeichne sie als ‹technologischen
Autismus› -
findet man oft bei Ingenieuren und Informatikern. Man hat ein Problem in
einem kleinen Teilbereich, man sieht eine Lösung für dieses Problem,
die
Konsequenzen ausserhalb des jeweiligen Problembereichs erscheinen einem
aber als vernachlässigbar, auch wenn sie gravierend sind.

Habt ihr schon ähnliche Erfahrungen betreffend der Geringschätzung für

das Sprachliche und dem ‹technologischen Autismus› bei Informatikern
gemacht?

Liebe Grüsse,
paedubucher

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