Hallo,

Tirkon wrote:
> Hier wäre auch noch die englische/deutsche Homepage von OSM zu nennen,
> auf welche die OSM-Community im Gegensatz zur en/de Wikipedia
> Hauptseite keinen Zugriff hat.

Beide sind im SVN bzw. bei der englischen jetzt Git, grundsaetzlich kann 
da jeder was dran aendern, aber beim Installieren auf dem Server wird 
ein Admin nochmal druebergucken.

> Ohne Relevanzregeln wäre der Weg zum Artikel über Begtriffsklärungen
> ein unendlich langer. Um zum Beispiel eine Frau Merkel zu finden, von
> der man nur den Namen kennt, müsste man sich im Extremfall durch ein
> weltweites Telefonbuch mit allen Merkels kämpfen müssen. Ein schier
> hoffnungsloses Unterfangen, wenn man nicht wenigstens
> Anfangskenntnisse zur Person hat. Die Relevanzkritereien stellen hier
> sicher, dass eine maximale Anzahl von Usern in einer maximalen Anzahl
> der Fälle dasjenige findet, was er sucht.

Naja, oben schreibst Du in Bezug auf OSM, dass gute Software durchaus 
solche Probleme auffangen kann - kann man dann vielleicht formulieren: 
So etwas wie die Relevanzregeln entsteht, wenn ein eher technisches 
Problem (wie finde ich aus allen Merkels weltweit schnell den Eintrag, 
der mich interessiert) aus Mangel an technischer Kompetenz auf anderem 
Wege zu loesen versucht wird.

Aehnlich haben wir es bei uns ja mit dem Thema "Strassen als Flaechen" - 
dem schlaegt Ablehnung entgegen, weil es schwer handhabbar wuerde; 
wuerde die Technik aber eine leichte Handhabbarkeit sicherstellen, 
beduerfe es der Einschraenkung nicht.

> siehe dazu oben: OSM wird zunehmend technisch überladen =
> Technokratrie. Die "Regeln" sind in Software gegossen.

Nun hatte ich ja gerade postuliert, dass gute Technik einen eben gerade 
vor willkuerlichen Regeln schuetzen kann. Gibt es zwischen "mangelhafte 
Technik, daher ueberforderte Menschen, die diese Ueberforderung durch 
willkuerliche Regeln a la Relevanzkriterien zu kompensieren suchen" und 
"ueberhandnehmende Technik, die den Menschen alles vorschreibt und keine 
Freiheiten laesst" einen guten Mittelweg?

> Bei Wikipedia ist man wenigstens so ehrlich, dass man diese Regeln für
> jeden sichtbar auch bekanntgibt. Bezogen auf diese Liste hier: Sie
> schirmt sich durch eine Mailingliste ab, in welche man nur mit Hilfe
> eines Clients schreiben kann, der nur mit eingehendem technischen
> Verständnis konfigurierbar ist.    

Ich frage mich manchmal, ob man vielleicht auch einen ganz anderen Weg 
der Ehrlichkeit gehen kann: Indem man naemlich ehrlich sagt "fuer 99% 
der Weltbevoelkerung ist OSM nichts". Dass man also gar nicht erst den 
Anschein erweckt, hier koennte einfach so jeder ohne technischen 
Sachverstand mitmachen (nur um dann, bewusst oder unbewusst, eben doch 
wieder Huerden aufzubauen wie eine Mailingliste).

Eigentlich wuensche ich mir das nicht; ich glaube, dass OSM besser wird, 
wenn viele verschiedene Leute mitmachen und nicht nur Standard-Geeks. 
Aber vielleicht betreibt man da auch Augenwischerei, wenn man immer 
betont, OSM sei fuer alle offen. Allein schon das Vorstellungsvermoegen, 
das jemand braucht, um mit sowas wie einer Karte und Geodaten ueberhaupt 
umzugehen, egal wie einfach der Editor wird, ueberfordert vermutlich 
viele. Indem man immer die Parole wiederholt, dass ja wirklich jeder bei 
OSM mitmachen kann, schafft man vielleicht auch eine falsche 
Erwartungshaltung.

Ich bitte zu beachten, dass das hier ein paar Gedankenspiele sind, die 
unter einem grossen "Vielleicht" stehen. Nicht dass mir jemand nachher 
behauptet, der Frederik haette gesagt, man soll einen OSM-Fuehrerschein 
einfuehren ;-)

>> schliesslich bezahltes Personal beschaeftigen muessen, weil 
>> wir unseren eigenen Freiwilligen nicht mehr ueber den Weg trauen 
>> koennen
> 
> Das ist zumindest bei Wikimedia Deutschland nicht so. Das eingestellte
> Personal soll ausdrücklich nur unterstützen, aber nicht in die
> Enzyklopädie an sich eingreifen.

Da waere meine Haltung halt: Entweder, das Projekt hat genug Power, dass 
diese Arbeit von Freiwilligen gemacht wird, oder man laesst es. 
Irgendwann habe ich gesehen, dass der Wikimedia e.V. eine Zeitung 
herausgibt, da dachte ich mir, Junge Junge, die haben wohl zu viele 
Germanisten eingestellt und wissen jetzt nicht wohin mit der Arbeitskraft.

> Der freie Geist des Einen beschränkt den freien Geist des Anderen. Von
> Kaputttramplen mag ich daher nicht reden. Wenn jemand nicht bereit
> ist, seine Software benutzerfreundlich zu machen, so ist das sein
> "freier Geist" und aus seiner Sicht sein gutes Recht. Gleichzeitig
> verschafft er sich damit einen Machtvorsprung vor demjenigen, der
> technisch nicht so versiert ist. Und schon ist der Ärger da.

Da waere zu ueberlegen, ob man daran arbeiten muss, diese Zustaende 
abzuschaffen, oder ob man sie stattdessen zum Prinzip erheben, dann aber 
auch ehrlich dokumentieren sollte, indem man etwa ganz klar sagt, dass 
Programmierer in OSM mehr Macht haben als Nichtprogrammierer und dass 
das auch so gewuenscht ist.

> Lassen wir den freien Geist nach vorne? Oder wollen wir steuern,
> sprich umschiffen? Und braucht man zum Steuern bzw Umschiffen keinen
> Konsens (Regel) innerhalb dieser "Clique"? Sorry, dass ich es so hart
> formuliere. Aber bringt uns das nicht genau auf den Kurs der
> Wikipedia? Wie sollen die Regeln durchgesetzt werden? Per Software?  

Das war ja der Kernpunkt meiner Frage. Das alte Dilemma - darf man Krieg 
machen, um Frieden zu schaffen, darf man der Intoleranz gegenueber 
tolerant sein, oder bei uns: Wenn man eigentlich gegen allzuviele Regeln 
ist, kann es dann trotzdem Phasen und Situationen geben, in denen man 
Regeln erzeugen muss, damit das Projekt sich nicht spaeter einen weit 
schlechteren Satz an selbstgemachten Regeln auferlegt?

Ich stelle mir da im Kopf einen iterativen Algorithmus vor, der unter 
umstaenden ein lokales Optimum findet und es von dort aus dann nicht 
mehr zum globalen Optimum schafft - weil jeder Schritt, den man in 
irgendeine Richtung machen koennte, die Situation erst einmal 
verschlechtert, obwohl es am Ziel rosiger aussieht.

Das ist aber alles ein so vager und spekulativer Bereich, dass ich mir 
nie anmassen wuerde, irgendein rosiges Ziel zu proklamieren, wenn ich 
nicht solide Informationen haette - und da hoffe ich halt ein bisschen 
darauf, dass man durch Analyse der sozialen Prozesse bei der Wikipedia 
solche Informationen gewinnen koennte.

> Du sprachst vom Beispiel Wikipedias und was OSM daraus lernen könne.
> Ich bin dort schon einige Jahre unterwegs. Nach meinem Empfinden
> sollte ein Wikipedia Autor der Vermittler zwischen Quellen und Leser
> sein. Das ist ein Journalist aber auch. Aber Wikipedia ist keine
> Zeitung, kein Magazin und auch keine Suchmaschine, sondern eine
> Enzyklopädie und soll das Wissen dieser Welt speichern.

Wo kommt diese Definition eigentlich her? Ich habe schon einige Leute 
sagen hoeren: "Meine Guete, wann begreifen die endlich, dass die 
Wikipedia in erster Linie ein Wiki ist und nicht in erster Linie eine 
Enzyklopaedie."

Bei OSM haben wir ja als Definition so einen La-La-Satz, den Steve Coast 
irgendwann mal auf die Wikiseite gepinnt hat, und weil jede Diskussion 
darueber furchtbar ausufern wuerde, behaelt man einfach den Satz ;-)

> Und genau hier scheitert Wikipedia. Im Moment stehen die Ansprüche der
> Autoren dort viel zu sehr im Vordergrund. Um die "Fehler" bei OSM zu
> vermeiden, müsste sich OSM erst einmal definieren. Diese Definition
> darf aber ausdrücklich nicht festgeschrieben sein, sondern nur eine
> Momentaufnahme darstellen. Welche Kundschaft möchte man bedienen? Und
> konsequent darauf sollte man sein Angebot optimieren. Ich denke, eine
> !!"kundenorientierte"!! Setzung von konkreten Zielen könnte OSM mehr
> voranbringen und die Fehler von Wikipedia vermeiden helfen. Denn der
> User ist nun gezwungen, seine eigenen Ansprüche zurückzuschrauben. Ich
> denke, das kann potentiell sehr viel Streit verhindern. Ziele sind
> wichtig, da nun alle einigermaßen in dieselbe Richtung marschieren.

Hm. Ich habe in Bezug auf OSM immer folgendes gesagt: Wir schaffen hier 
etwas von grossem Wert. Die *Benutzer* (also nicht-Mapper) wissen das zu 
nutzen, oder sie werden lernen, es zu nutzen, denn es spart ihnen bares 
Geld oder rechtlichen Aerger und so weiter. Wir muessen auf diese Leute 
wenig Ruecksicht nehmen, die kommen von ganz allein. Unsere knappe 
Ressource sind die Mapper, und noch knapper die Techniker, also muss das 
Projekt so beschaffen sein, dass diese Personengruppen sich zu OSM 
hingezogen fuehlen und Spass dabei haben. Fuer diese Leute muss man 
Kompromisse eingehen - nicht aber fuer die Benutzer oder "Kunden". Denen 
sollte man zwar auch nicht unnoetig das Leben schwermachen, aber 
ansonsten helfen die sich schon selbst.

Der Gedanke, dass eine "Kundenorientierung" eventuell im Innern des 
Projektes einige Entscheidungen vereinfacht, ist interessant. Vermutlich 
gaelte das aber auch fuer beliebige andere Zielgroessen - "maximaler 
Spass bei Mappingparties" oder so.

>> Der "Call for Papers" fuer die State of the Map geht noch bis zum 30. 
>> April: http://stateofthemap.org/call-for-papers/
> 
> Das würde ich liebend gerne tun. Barcelona ist mir allerdings zu weit.
> Außerdem könnte ich auf Englisch mangels Übung nur einen vorbereiteten
> Vortrag abspulen aber keineswegs auf Zwischen- und Nachfragen
> reagieren.

Ok, dann denk noch ein bisschen ueber das Thema nach und wir buchen Dich 
gleich fuer die Fossgis 2011 ;-)

Bye
Frederik

-- 
Frederik Ramm  ##  eMail frede...@remote.org  ##  N49°00'09" E008°23'33"

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