Mache verschlafen uns verkatert das Postfach auf und was finde ich: super Diskussion zu Jahresbeginn. Als manische Leserin aller "Der-Dativ-ist-dem-Genitiv-sein-Tod"-Bücher weiß ich das zu schätzen ;) Wünsche ebenfalls ein gutes neues Jahr!
Maria www.meta-physik.com -------- Original-Nachricht -------- > Datum: Tue, 1 Jan 2008 01:34:53 +0100 > Von: Oliver Cosmus <[EMAIL PROTECTED]> > An: BAGASCH@LISTS.MONOCHROM.AT > Betreff: Re: [monochrom] einen guten Rutsch. > Den beiden Hauptdiskutanten möchte ich zwei kleine Fragezeichen mit auf > den > Weg geben, wobei es mir vielleicht verziehen werden kann, wenn sich mein > Verdacht jederzeit ausgerechnet bevorzugt auf solche Aussagen richtet, die > gerade als Selbstverständlichkeiten vorgetragen werden. > Zum einen: > "Sprachlich richtig ist die Konstruktion, die die Mehrheit der Sprecher > einer Sprach-Gemeinschaft benutzt." > Daß sich Richtigkeit (orthótes) prinzipiell nicht nach Gebrauch und > nicht > einmal nach Überzeugungen (dóxa) richten kann, hat zuerst Platon im > Theaitetos (152e ff.) gezeigt, und zwar so überzeugend, dass dies niemals > danach bezweifelt wurde. Das aber liegt wiederum nicht zuletzt auch daran, > dass Aristoteles in den sophístikoi elénchoi nachgewiesen hat, dass, wer > diesen Zweifel hegen will, dazu die Prämisse der Meinungsunabhängigkeit > der > Richtigkeit schon braucht und sie damit bereits anerkannt hat. (Es gibt > aber > ernstgemeinte Argumentationen dagegen bei Cusanus und Nietzsche.) > Zum anderen: > "sprache ist kein subjekt" > Wenn zugestanden ist, dass es ohne Sprache überhaupt kein Subjekt gibt, > dann > ist die Sprache sogar das Supersubjekt der Subjektivität als solcher. > Jeder > Strukturalist würde sagen, dass die Sprache DAS Subjekt ist, jedenfalls > in > dem Sinne, dass nicht irgendwelche Mächte, Interessen usw. des Menschen > die > Sprache prägen, sondern nur und ganz allein die Sprache selber. Leider > wollen die Strukturalisten aber das Subjekt ganz abschaffen. Wenn ich also > von der Sprache als Subjekt spreche, ist das natürlich dummes zeug, oder > bestenfalls eine dóxa (siehe oben). Nun kann ich aber noch auf den > Begründer > der mod. Sprachwissenschaft verweisen, nämlich auf Saussure, der > überrascht > feststellen musste, dass die Struktur der Sprache in keiner Weise > Konventionen (konservativen oder fortschrittlichen) unterworfen werden > KANN. > "Die Sprache ist das Subjekt, das sich selber schafft." Das klingt nun > aber > doch etwas zu verrückt, um wahr zu sein. Seien wir anti-platonisch und > stimmen über die Wahrheit ab. Los Evelyn, Frau Magistra, Du kennst doch > Saussure, bitte zustimmen... > > ----- Original Message ----- > From: "mm" <[EMAIL PROTECTED]> > To: <BAGASCH@LISTS.MONOCHROM.AT> > Sent: Monday, December 31, 2007 8:32 PM > Subject: Re: [monochrom] einen guten Rutsch. > > > > joerg piringer schrieb: > >> mm schrieb: > >>> Die bekannteste sozio-linguistische Theorie von Sprachveränderung ist > >>> die Willem Labovs (ich kann Genitiv) und die geht so: > >>> Es gibt zwei Sprechergruppen A und B, die sich beide in ihren > >>> Sprechgewohnheiten unterscheiden. Gruppe A verfügt, aus welchen > Gründen > >>> auch immer) in den Augen von Gruppe B über mehr Prestige (man kann > auch > >>> sagen Macht). Weil Gruppe B sich nun auch Prestige zulegen will, > >>> imitiert sie nun die Sprechgewohnheiten von Gruppe A und verändert so > >>> ihr eigenes Sprechverhalten. Diese Veränderungen können von der > >>> unterschiedlichen Aussprache eines Phonems bis hin zur Übernahme > ganzer > >>> grammatikalischer Konstruktionen reichen. Und natürlich ist das eine > >>> Ausübung von Macht. Und natürlich sind Werbefuzzis und Massenmedien > >>> massiv dafür verantwortlich Sprache zu verhunzen, wenn man eine > Sprache > >>> den als verhunzbar ansehen will. Und natürlich kann man diesen Bösen > >>> Konservativität unterstellen. > >> > >> ich habe den eindruck, die vereinfachungen und vereinheitlichungen > >> passiert im wesentlichen aus ökonomischen überlegungen heraus. und > das > >> ist in der kultur immer ein fehler. > > > > Nicht jeder sprachliche Wandel ist unbedingt ein Schritt in Richtung > > Vereinfachung (im Beispiel Dativ vs.Genitiv allerdings schon). Falls du > > Zeit und Ineresse hast lies einfach mal das erste Kapitel von Labovs (er > > heisst übrigens William, nicht Willem) "Sociolinguistic Patterns". In > dem > > darin untersuchten Sprachwandel bleibt nämlich die Komplexität des > > Sprachsystems erhalten. > > > >> und vor allem dann, wenn es um DAS wesentliche kommunikationsmedium > geht. > >> > >>> Aber dieses Bewahrenwollen von Sprache wie sie zu einem gegebenen > >>> Zeitpunkt ist, ist das eigentlich konservative (lat. conservare: > >>> bewahren). > >> > >> genau das, glaube ich, ist ein irrtum. so gesehen müsste jede > änderung > >> progressiv sein. dann hätten wir also z.b. in den letzten jahren das > >> progressivste fremdenrecht der welt bekommen. > > > > Ich hab keine Ahnung vom österreichischen Fremdenrecht, aber bei meiner > > Argumentation habe ich, > > völlig fachidiotisch, nur auf Sprache Bezug genommen, deine > > Analogiebildung ist vielleicht > > angemessen, aber ich würde nicht so weit gehen wollen jede > Veränderung, > > ausserhalb von Sprache, > > als progressiv zu bezeichnen, nur weil sie eine Veränderung ist > > > > > >>> Ausserdem, wenn eine Sprache an grammatikalischer Komplexität > abnimmt, > >>> heisst das noch lange nicht, dass deren Benutzer dadurch geistig > ärmer > >>> werden. Ein gutes Beispiel ist hier das Englische, das nur noch zwei > >>> Kasus (Nominativ und Genitiv) hat (der Dativ ging irgendwann verloren, > >>> was mit den eventuellen anderen Kasus passiert ist weiss ich nicht). > >>> Doch was das Englische an grammatikalischer Komplexität verloren hat > >>> wird dadurch wettgemacht, das es über viel mehr Wörter als jetzt > z.B. > >>> das Deutsche verfügt und deshalb auf Englisch z.B. Grade von > Bedeutung > >>> viel feiner bestimmt werden können. Komplexität besteht nämlich > nicht > >>> nur auf einer Ebene eines Sprachsystems. > >> > >> klingt schön in der theorie, mir fällt aber kein beispiel aus der > neueren > >> geschichte ein, wo das der fall gewesen wäre. > > > > Wo was der Fall gewesen wäre? > >> > >> vielleicht ist aber vielfalt auch ein besseres wort als komplexität, > denn > >> darum gehts mir eigentlich. > > > > Okay, ich glaube das war auch der Grund warum wir aneinander vorbei > > geredet haben. Ich bin pro-Vielfalt, sei es nun auf sprachlicher oder > > nicht-sprachlicher Ebene. Die sprachliche Vielfalt würde dann aber, in > > meinen Augen, bedeuten, mehrere Sprachen und nicht nur Deutsch und > > Englisch zu können, denn jede Sprache ist ein einzigartiges System die > > Welt zu betrachten. D.h. das Aussterben von Sprachen ist Scheisse, nicht > > aber die Veränderungen innerhalb einer Sprache, die sind nämlich ein > > inhärentes Merkmal einer jeden lebenden Sprache. > > > >>> Saisonale Grüsse, > >> > >> was soll das eigentlich bedeuten? > > > > Das ist eine oft von Sprachschützern angeprangerte Bedeutungsentlehnung > > aus dem Englischen "season's greetings". > >> > >> joerg > >> -- Psssst! Schon vom neuen GMX MultiMessenger gehört? Der kann`s mit allen: http://www.gmx.net/de/go/multimessenger?did=10