Jörg Schmidt wrote:

> hat Word Vorlagen - ja.
> arbeitet der Normaluser damit - eher nein
> warum?
> 
> IMHO weil die Vorlagen in Word zwar nicht substanziell schlechter sind
> als in Writer, aber das Hart-Formatierungs-Konzept im Mittelpunkt steht.

Ich sehe das anders. Benutzer arbeiten genau dann mit Vorlagen (Styles),
wenn sie kapieren, warum sie das tun sollten. Das wird nicht durch ein
geeignetes GUI-Design vermittelt ("wir haben nur Vorlagen - also nimm
sie"), sondern setzt eigenständiges Denken voraus. Wer diese
Denkleistung nicht erbringen will, wird es auch nicht tun, selbst wenn
du an jede Funktion im GUI, die Vorlagen verwendest, ein rotes
Schleifchen bindest.

Ich selbst verwende Styles auch nur, wenn ich's brauche. Weil ich weiß,
wofür sie gut sind und daher auch, wo sie nur Overhead erzeugen.

> Hat das Nachteile?
> Ja, denn der Nutzer wird nie versuchen zu erkunden wie Vorlagen
> funktionieren und wird letztlich mit dem Programm nicht wie mit einer
> Text*verarbeitung* arbeiten können, wird ineffektiv arbeiten.

"Ineffektiv" ist ein falscher Begriff. Wenn der Anwender sein Ziel auch
ohne Styles erreicht, ist das effektiv. Sicherlich kann man trefflich
darüber streiten, ob das denn auch effizient ist - aber auch das liegt
im Auge des Benutzers oder besser in dessen Denkweise. Wer sich nicht
bewusst mit den Vorteilen, die ihm Styles bieten können(!)
auseinandersetzt, für den ist ihre Benutzung ineffizient, denn sie
generiert einen zusätzlichen Level, den er nicht braucht. Er spart also
Arbeit und Zeit, wenn er sie nicht verwendet.

Wenn er später in Situationen kommt, wie die oft beschworene Situation
(s.u.) des Diplomarbeitsschreibers, der seine ganze Arbeit umformatieren
muss(?), dann lernt er was für's Leben. :-) Oder er hat sich vorher
schlau gemacht, was eigentlich als generelle Lebensmaxime durchaus
empfehlenswert ist.

> Haben wir nun trotzdem Verantwortung oder sollten wir diese empfinden?
> Nun - ich glaube ja. Wenn man weiß das der User selbst nur schwer zu
> Vorlagen findet, aber auch weiß das harte Formatierungen Probleme
> machen, sollte man dann nicht konzeptionell das Mögliche tun um den User
> an Vorlagen heranzuführen?

Das tut man aber nicht, indem man ihm die Werkzeuge wegnimmt, die er
benutzen will. Das tut man, indem man ihm zeigt oder erklärt, wie es
denn anders besser gehen könnte. Und selbst dann ist es immer noch der
Anwender, der entscheidet, ob er es braucht oder nicht.

> Kann es uns egal sein immer die Hilfeschreie zu hören 'ich muß morgen
> meine DA abgeben und wollte noch schnell umformatieren muß das jetzt
> aber per Hand machen'? Der User hat hier nur wenig Schuld, denn er hat
> ja darauf vertraut das wenn der Pinsel so zentral angeboten wird das
> keine 'Nebenwirkungen' auftreten, Nebenwirkungen die er zunächst
> garnicht abschätzen kann - und deshalb sollten wir uns darum bemühen.

Sorry, das ist so falsch wie uralt. Ein Programm kann dem Anwender nur
in den seltensten Fällen das Denken abnehmen. Wer darauf vertraut, ein
Dokument nachträglich per Pinsel umzuformatieren, dem ist nicht zu
helfen. Es ist eher so, dass diese Anwender überhaupt nicht daran
gedacht haben, dass sie möglicherweise mal was umformatieren müssten.
Und warum sollte ein solcher Anwender dann Styles verwenden? Es ist wie
überall: du kannst einem Anwender erst dann die Lösung schmackhaft
machen, wenn er das dazugehörige Problem verstanden hat. Im Falle von
Styles ist das dann IMHO fast ein Selbstgänger; Wer die
"Umformatierungsproblematik" verstanden hat, kommt fast von selbst zu
Styles (einen mindestens durchschnittlichen IQ vorausgesetzt). Und der
kann dann übrigens auch den Pinsel erfolgreich nutzen, da der auch
Styles kopiert. :-)

> 
>> Und ein
>> *fehlender* Pinsel kann unmöglich ein Qualitätsmerkmal sein.
> 
> 'OOo ohne Pinsel' stand für das konsequente Vorlagen-Konzept, 'OOo mit
> Pinsel' könnte es auch tun, tut es aber nicht. Und genau hier hat OOo
> eine Chance verspielt den Nutzer sanft zum Besseren zu leiten, das ist
> das Problem.

Ich glaube nicht, dass durch die Einführung des Pinsels die Anwender
weniger mit Styles arbeiten. Diese Entscheidung wird aus anderen Gründen
getroffen.

> Ersteres ist OK, nur Zweiteres ist keine Alleinfrage des Pinsels sondern
> damit werden Konzepte verwässert.

Was für ein großes Wort - ich glaube nicht, dass man ein "Konzept"
braucht, um einen zweiseitigen Brief zu schreiben. Wenn das so ist, dann
 macht das Programm was gravierend falsch.

Ich vergleiche das gerne mit dem Programmieren. Der Unterschied zwischen
dem "harten" und "weichen" Formatieren ist dabei für mich der zwischen
dem einfachen Basic-Programmierer und dem, der seine Programme plant und
designed.

Ich habe wie viele andere als Basic-Programmierer angefangen. Als ich
meinen ersten "richtigen" Computer (Atari ST) bekam, war es mir wichtig,
dass der auch ein prima und sehr komforables Basic hatte. Erst als meine
Programme größer wurden und eine längere Lebensdauer bekamen, erkannte
ich, dass ich mächtigere Werkzeuge brauchte und wechselte zu C und
später C++. Bis dahin bin ich prima mit Basic ausgekommen und habe durch
das Nicht-Benutzen von Klassen und Interfaces keine Nachteile gehabt. Im
Gegenteil, das, was ich damals programmiert habe, konnte ich in "Omikron
Basic" viel einfacher und schneller erledigen.

Genauso sollte ein Anwender, der seine Texte immer frei von der Leber
weg runtergeschrieben hat, das auch möglichst komfortabel mit OOo tun
können. Den Wechsel zum Arbeiten mit Dokumentvorlagen und Styles soll er
machen, wenn er es braucht und auch erkennt(!) dass er es braucht. Und
wenn er diesen Schritt niemals macht, ist es mir immer noch lieber, er
"pinselt" mit OOo als dass er mit Word pinselt.

> dem Pinsel konzeptionell/optisch den ihm gehörigen Platz zuweisen (im
> 'Schatten' der Vorlagen) oder eine andere Strategie mit dem Ziel dem
> Nutzer (ohne ihn mit Hilfedateien zu langweilen) die Botschaft zu
> vermitteln: 'der Pinsel kann bequem sein, aber er ist nicht ohne
> Nebenwirkungen, beschäftige Dich mit Vorlagen, dann wirst Du
> anschließend auch mit dem Pinsel souverän umgehen können'
> (ich wage zu vermuten Letzteres wird niemand mehr wollen wenn er
> Vorlagen verinnerlicht hat)

Noch einmal: die Benutzung des Pinsels hat nichts mit der Verwendung von
Styles zu tun. Auch wer nur Styles verwendet, findet im Pinsel ein
nützliches und schnell zugängliches Werkzeug.

> falls es so wäre das wir zu der Einschätzung kämen die
> Bequemlichkeit/Intuitivität des Pinsels sei es wert einige Nachteile zu
> tragen, so könnte diesen Nachteilen auch mittels programmtechnischer
> Konzepte begegnet werden, ganz einfach dadurch das OOo automatisch harte
> Formatierungen in Vorlagen umsetzt und dabei auch die zweckmäßige
> Hirarchie dieser Vorlagen im Auge hat.

Das geht vielleicht in die gleiche Richtung wie das, was ich in meinem
Blog neulich angesprochen hatte:

http://blogs.sun.com/GullFOSS/entry/a_matter_of_styles

(in "plattdeutsch" natürlich).

Als nächsten Schritt könnte ich mir auch vorstellen, dass wir oder
irgendwer anders ein "alternatives" GUI erstellen, dass nur mit Styles
arbeitet, vielleicht gerade so, wie von dir beschrieben. Ich bin da aber
skeptisch, nicht weil ich das grundsätzlich für falsch halte, sondern
skeptisch in Bezug auf die Wirkung eines solchen GUI als "Lernhilfe".

Es ist schwierig, einem Anwender Styles "heimlich" unterzuschieben. Das
Wesen der "harten" Formatierung ist es ja gerade, dass man beliebige
Attributkombinationen erstellen kann, nicht nur die, die schon als
Styles existieren. Anders herum sollte man nicht Styles automatisch
erzeugen, bis der sprichwörtliche Arzt kommt, denn die bloße Existenz
von Styles bringt ja nichts, wenn man nicht auch für eine gewisse
Konsistenz sorgt. Die Idee mit den "automatic styles", die ich im Blog
schildere, erscheint mir als guter Kompromiss, da sie eine aktive Arbeit
des Anwenders voraussetzt: es werden nur die Attributkombinationen
(=automatic styles) zu Styles gemacht, die ausgewählt werden. Wenn man
das dazu gehörige Tool auch noch entsprechend sichtbar plaziert, bringt
man den Anwender vielleicht auch dazu darüber nachzudenken, wozu diese
Styles eigentlich gut sind. Und genau das ist es, was IMHO notwendig ist
und damit schließt sich dann der Kreis wieder.

Ciao,
Mathias

-- 
Mathias Bauer (mba) - Project Lead OpenOffice.org Writer
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