Hallo Thomas,
On 27.05.20 09:25, Thomas Güttler Lists wrote:
Was wird die Zukunft aus eurer Sicht für
schöne Dinge bringen?
Ein schönes Thema bringst Du da auf den Tisch. Ich denke die Zukunft
verdient und bringt eine Trendwende im Energieverbrauch (und damit der
Systemanforderungen) insbesondere für Clients. Und etwas mehr
Wertschätzung für nachhaltige Lösungen, welche die Souveränität ihrer
Nutzer bewahren.
Zum Energieverbrauch:
In letzter Zeit ging alles Richtung Web. Dort dominiert auf Client-Seite
Javascript mit seinen bekannten Eigenschaften. Selbst von den
Herstellern angebotene "Standalone-Apps" sind in Wirklichkeit meist nur
Web-Apps mit Electron-Umverpackung. Man gewinnt also ökologisch außer
einer besseren Integration zum Host-OS nichts. Die alte Gleichung – CPU
und RAM ist billiger als der „kostbare“ Entwickler geht meiner Meinung
nach schon lange nicht mehr auf und vernachlässigt den Fakt, dass
zumindest die laufenden CPU-Kosten direkt an den Energieverbrauch
gekoppelt sind. Niemand sollte mehr so tun, als stünden Ressourcen
unbegrenzt zur Verfügung. Die Strompreise steigen steigen steiler als
die Stundensätze der Offshore-Entwickler, und nur der Wegwerfmentalität
der meisten Benutzer ist es zu „verdanken“, dass dieses Problem kaum
wahrgenommen wird.
Zur Bewertung eines Clients würde ich deshalb auch die erwartete
Häufigkeit und Dauer der Nutzung in die Gleichung einbringen. Beispiele:
(a) ein System zum Bestellen bei einem Menüservice darf gern eine
Web-App sein. Die Nutzung erfolgt pro Client höchstens einmal täglich.
Dafür lohnt sich kein nativer Client und die Vorteile der zentralen
Bereitstellung überwiegen. (b) eine Kommunikationsanwendung (vgl.
Microsoft Teams) sollte keine Web-App sein. Die Nutzung erfolgt aktiv
mehrmals täglich für mehrere Stunden, und passiv im Prinzip den ganzen
Tag (die App muss offen bleiben, damit man angerufen werden kann). Der
Overhead, der durch die verwendete Technologie entsteht, ist enorm. Hier
sollte alternativ ein nativer Client zur Verfügung stehen, der
vorhandene Client-Ressourcen effizient nutzt. Schade, dass der Blaue
Engel[1] bisher nur auf den Rechenzentrumsbetrieb abzielt und die
gefühlt mindestens genauso große Komponente – die vielen Millionen
Smartphone- und Laptop-Akkus, die täglich geladen werden – außer Acht lässt.
Zur Souveränität:
Beim Thema Souveränität tangiert mich nicht der Fakt, dass die Daten
außerhalb der eigenen physikalischen Reichweite liegen, sondern eher der
Umstand, dass im Bereich der SaaS-Provider in teilweise großem Umfang
Vendor-Locks hingenommen werden müssen. Als geschäftsschädigend könnte
man das übertrieben betrachtet im Bereich Office-Anwendungen
(Textverarbeitung, Spreadsheet, Dokumentenmanagement, Projektmanagement)
bezeichnen; als katastrophal in den Bereichen Kommunikation (E-Mail,
Instant Messaging, Videotelefonie) und Automatisierung (Smart Home).
Ich persönlich freue mich deshalb zukünftig in loser Folge auf:
* Einen kritischen Umgang mit Web-Apps und einen Konsens darüber, wann
diese Sinn ergeben und wann nicht (Häufigkeit und Dauer der Nutzung *
Anzahl der Nutzer?)
* Eine Wiederbelebung der Ideen von vergessenen Cross
Platform-Technologien zur Umsetzung von nativen, energieeffizienten
Client-Anwendung (z.B. Lazarus – kennt das noch jemand?)
* Energieersparnisse durch Vereinfachung der Server-Architekturen – etwa
durch Abbau von organisatorisch motivierten technischen Abstraktionsebenen
* Mehr Nutzung von modernen, effizienten compilierten Sprachen auf
Serverseite (z.B. Golang, produziert effiziente Standalone-Binaries und
hat das Potential, in vielen Fällen die Notwendigkeit von Containern in
Frage zu stellen...)
* Eine große Vielfalt an verfügbarer energiesparender Hardware zur
Umsetzung von Edge Computing-Projekten (ARM & Co.?)
* Eine genauso große Vielfalt an noch energiesparender Hardware zur
Umsetzung von intelligenten Sensoren und Steuerungen (NodeMCU & Co?)
* Ein Upgrade von geschäftskritischen, geschlossenen
SaaS-Cloud-Plattformen mit Vendor-Lock, hin zu interoperablen
Edge-Plattformen mit offenen Protokollen und Standards
* Ganz allgemein: ein gesund wachsendes Ökosystem aus „true“
OpenSource-Komponenten als Basis für eigene Projekte (NetBSD,
PostgreSQL, Golang, Python, Lua…)
* ReactOS als vollwertiger Windows-Ersatz ;-)
Viele Grüße
Matthias