Oliver Cosmus schrieb:
mm schrieb:
Trotzdem: Die Arbitrarität ist ja nicht einfach eine willkürliche Entscheidung die ein Sprecher über die Bedeutung eines Ausdrucks fällt, die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke ist m. E. immer noch ein sozialer Prozess. Soll heissen, erst wenn mindestens ein anderer Sprecher den Ausdruck ebenfalls in seiner neuen Bedeutung benutzt, beginnt der Ausdruck umdefiniert zu werden (blödes Beispiel aus meiner Teenagerzeit: Eine Zeit lang haben meine Freunde und ich (warum auch immer) Autos als "Bogen" bezeichnet, das war aber irgendwann wieder vorbei).

Genau dieser Beobachtung, nämlich Worte in ihrer Zeichenbedeutung nicht willkürlich austauschen zu können, wollte F. de Saussure auf den Grund gehen. Nicht nur, wurde ihm klar, ist es praktisch unmöglich, durch Beschluss Sprachzeichen im Gesamtgebrauch zu verändern (Bogen/Auto), es ist auch überhaupt noch niemals auf diese Weise ein Zeichen eingeführt worden! (Will sagen: n i e m a n d hat das Wort "Brot" als Wortzeichen für das bestimmt, was mir mit Brot meinen, und das gilt für alle Worte, die keine termini technici sind.) Im Deutschen gab es mal das Vorhaben, das "fehlende Wort" für die Sättigung in bezug auf das Trinken einzuführen: Wer genug getruken hat, sei fortan "sitt". Trotzdem sagt es keiner, warum wohl nicht? Die oben vorgeschlagene Lösung, dass Veränderungen in der Sprache über soziale Prozesse geschehen, hielt Saussure deshalb für falsch. (Was mit Blick auf die Diktaturen des 20. Jhd.s vielleicht etwas voreilig war, aber die hat er nicht mehr erleben "dürfen".) Saussure entdeckte vielmehr, dass es keine e i n z e l n e n Zeichen gibt. Etwas überspitzt gesagt, heißt das Auto "Auto" und nicht "Bogen", weil nämlich der Schmetterling "Schmetterling" heißt, und nicht "Gafolasiduger". Das ist die berühmte Strukur der Sprache (zu der natürlich auch die Grammatik usw. gehört), und ich glaube man kann zeigen, dass auch eine gesamt-geeinte Sprechergemeinschaft keine willentliche Veränderung einer bestimmten Sprachregel durchsetzen kann, wenn dies der Struktur von Sprache zu sehr zuwiderläuft.


Auf die Gefahr hin mich zu wiederholen:
Natürlich wird nicht BESCHLOSSEN (bitte trenn dich mal von dem Begriff (Mehrheits-)Beschluss) wie jetzt was heisst, weder durch die Mehrheit noch durch Einzelpersonen oder die Massenmedien. Aber es ist ein Fakt, dass Lautverschiebungen, Bedeutungsübertragungen und -verschiebungen etc. passieren. Und zwar nicht einfach so, sondern daran sind soziale Prozesse beteiligt. Das hat jetzt aber nicht unbedingt was mit der Einführung neuer Wörter zu tun, die werden eben, wie du schreibst, nicht erfunden (ausser in Ausnahmefällen), können aber z. B. als Lehnübersetzungen (auch als "falsche", wie z.B. Handy) aus anderen Sprachen übernommen werden. Aber dieses Wort Handy hat ja nicht plötzlich jeder benutzt, es hat sich halt irgendwie durchgesetzt gegen das schwerfälligere Wort Mobiltelefon. Und das das Handy jetzt Handy heisst ist so, weil die meisten Deutsch sprechenden Menschen dieses Wort benutzen, ohne das erst beschlossen haben zu müssen. Allerdings weiss man halt auch nicht warum das Brot Brot heisst, weil es Brot schon länger gibt als schriftliche Aufzeichnungen (man kann den Ursprung aber trotzdem zu irgendwelchen altgermanischen Wortstämmen und sogar bis ins Altgriechische zurückverfolgen, was aber im Vergleich zu dem Zeitraum seit dem überhaupt gesprochen wird ein lächerlich kurzer Zeitraum ist). Eins dürfte klar sein: Brot hiess nicht immer Brot und das es heute so heisst ist auf Bewegungen in verschiedenen Sprachsystemen zurückzuführen.

Saussures Auffassung hast du schon richtig dargestellt, er meinte halt, dass die Bedeutung eines Wortes sich dadurch definiert was es nicht bedeutet. Und deshalb gibt es auch keine einzelnen Zeichen, trotzdem kann sich der Bedeutungsinhalt eines Zeichen mit der Zeit (das kann mitunter auch relativ fix gehen) ändern, ohne das sich die anderen Zeichen(-inhalte) die mit diesem Wort verbnden sind auch ändern müssten (Beispiel: Demagoge bedeutet eigentlich Lehrer des Volkes, seit dem Wiener Kongres allerdings Volksverhetzer, trotzdem heisst Demokratie immer noch Herrschaft des Volkes und Pädagoge Lehrer der Kinder). Hinter solchen Veränderungen muss aber nicht immer ein Wille stehen (ausser man unterstellt den sprachlichen Ausdrücken so etwas ähnliches wie einen Wille). Saussure hat wichtige Arbeit geleistet, so ziemlich alle sprachlichen Theorien gehen auf den Strukturalismus zurück, aber seit den ungefähr 100 Jahren in denen strukturalistisch Sprache erforscht wurde, haben sich natürlich einige Ansichten geändert ohne jetzt unbedingt Saussure widersprechen zu müssen.

Du hast jetzt öfter versucht darzustellen wie sprachlicher Wandel/sprachliche Richtigkeit NICHT funktioniert, aber wie funktioniert er/sie denn dann deiner Meinung nach?

Reply via email to