Thorsten Behrens schrieb:

> hm, ein etwas l"angerer Post, der eine etwas l"angere Antwort
> rechtfertigt, hoffe ich. ;) Ich beziehe mich der Reihe nach auf die
> zitierten Abschnitte.

Die angesprochenen Fragen rechtfertigen auch IMO durchaus etwas mehr
Text als sonst üblich.

> Der Ausdruck "freie Software" ist ganz interessant, weil im Englischen
> bekanntermassen mehrschichtig (free speech - free beer), und hier
> durchaus zutreffend: 

Ich verstehe unter "Freier Software" solche, die unter einer Lizenz
veröffentlicht wird, die die bekannten vier Freiheiten (use, study,
share, improve) gewährleistet. Dies ist bei OOo und der LGPL fraglos der
Fall. OOo is free as in free speech.

Sun macht mit OpenOffice.org im Kern freie
> Software im Sinne von frei in der Benutzung. In der Vergangenheit und
> gerade auch zum jetzigen Zeitpunkt versucht Sun aber, die Arbeit am
> Projekt zu kontrollieren (das ist erstmal wertneutral). 
> 
> Das ist aber *nicht* das, was gemeinhin unter einem OpenSource-Projekt
> verstanden wird (http://www.opensource.org/ f"ur eine Definition) -

Hier kommen wir, glaube ich, zum Kern des Diskurses: Es geht nicht um
die Freiheit des Produktes, sondern die Verfasstheit des Projektes.

Freie Software (im Sinne obiger Definition) wird in unterschiedlichsten
Formen geschaffen. Es gibt den "einsamen Hacker", kleine Gruppen von
unter einander gut bekannten Codern, aber auch größere Einheiten von
Menschen, die Freie Software schaffen und veröffentlichen.

Manche Gruppen werden von einem "wohlwollenden Diktatur", andere von
einer "Meriokratie" geleitet, wiederum andere sind demokratisch
verfasst, wobei gelegentlich lediglich eine Elite stimmberechtigt ist
(bei Debian z.B: darf keineswegs jeder, der sich für das Projekt
interessiert und irgendetwas dazu beiträgt, an Wahlen und Abstimmungen
teilnehmen). Andere Software wird von Unternehmen geschaffen und unter
einer Freien Lizenz veröffentlicht.

Wenn man Debian, das GNU-Projekt, den Linuxkernel, MySQL, Java, *ubuntu,
OpenSuse oder eben auch OpenOffice.org anschaut, findet man eine
Vielfalt von Organisationsformen, wobei gerade die Vielfalt für Viele
den Charme der Free Software Community ausmacht.

> Debian & der Linux-Kernel sind Paradebeispiele daf"ur, und in gewisser
> Weise auch Ubuntu (die den Mut hatten, jeden Prozess & jedes Gremium
> offen zu gestalten - siehe auch die Cathedral vs. Bazaar-Metapher).

Es gibt nicht einen Idealtypus, dem sich alle Projekte Freier Software
anzunähern hätten, sondern jedem Projekt ist es aufgegeben, seine eigene
Organisation zu finden, ohne dass ihm dabei andere Projekte zwangsläufig
Ziel oder Richtschnur sein könnten.

> Bei OpenOffice.org darf man in den Sourcecode schauen, 

 Naja wie go-oo beweist, darf man schon etwas mehr ;-).

die
> eigentlichen, wichtigen Entscheidungen werden aber in Hamburg 
> getroffen - der Begriff "Community" hat in den K"opfen der Entscheider
> meistens nur am Rande Platz, im Vordergrund stehen eigene strategische
> und wirtschaftliche Erw"agungen (mancher mag sagen, dass sei gutes
> Recht desjenigen, der den L"owenanteil der Arbeit leistet - dazu unten 
> mehr).
> 
Auch hier ist IMO ein Wandel im Gange, OOo ist meiner Meinung nach auch
für die Menschen in Hamburg ein Lernprozess, der keineswegs als
abgeschlossen betrachtet werden kann und auch ein jeweils individuelles
Tempo hat. (Zur Ausbildung eines ITlers  gehört leider (noch) nicht das
Thema: "Wie gehe ich mit einer Community um?" ;-)).

> Und die Crux bei diesem Setup ist nun, dass OOo damit zwangsweise in
> der Abh"angigkeit Suns gehalten wird, und sich eben *kein* echtes
> Community-Leben entwickelt hat. Ich will wirklich die Arbeit von Dir
> und den vielen anderen Freiwilligen nicht schm"alern, und die
> Bereiche l10n/NL-Governance/QA/Marketing sind sicherlich vorbildlich,
> und funktionieren - aber vielleicht nur deswegen, weil Sun sich da 
> nicht gross einmischt, sondern das als willkommenen Mehrwert 
> mitnimmt?

Dass bei SUN bei der "Freigabe" von OOo nicht ausschließlich
altruistische Motive eine Rolle gespielt haben, unterstelle ich mal, SUN
ist wie jedes andere Unternehmen seinen Shareholdern verantwortlich.
Dennoch rechne ich es den Verantwortlichen bei SUN hoch an, dass sie
sich für diesen keineswegs selbstverständlichen und einfachen Weg
entschieden haben.

Abgesehen von den beiden Beispielen, die Florian genannt hat, ist IMO
auch die Möglichkeit Extensions ein Beispiel, dass SUN in einem weiten
Bereich die Kontrolle abgibt.

> 
> In der Entwicklung ist das nicht so, und das kann ich sicher mit
> einiger Autorit"at sagen. Von zwei grossen kommerziellen Mitstreitern
> im Projekt, die mit grosser Euphorie angek"undigt worden sind, habe
> ich bisher wenig, oder nur veralteten Code gesehen. Und wieviele
> Freiwillige kennst Du, denen Du Arbeit an der OOo-Core zutraust? Mir
> f"allt spontan eine Handvoll ein, die noch aktiv sind. Insofern ist
> die Art und Weise, wie OOo momentan verwaltet wird, ein Teufelskreis.

 Ich gebe an dieser Stelle zweierlei zu bedenken:
1. Welche Beiträge Red Flag 2000 und IBM leisten können und werden, kann
sich erst in Zukunft erweisen.
2. Für junge Leute mit entsprechenden Fähigkeiten hat meiner Erfahrung
nach eine Office-Suite wenig Sexappeal, sie bringen sich oftmals lieber
in "angesagtere" Projekte ein, wobei Ausnahmen eher die Regel
bestätigen. Das scheint mir ein Thema zu sein, über das unabhängig von
der "Macht" von SUN nachgedacht werden muss.

> Was Michael will, ist ein OpenSource-Projekt im Sinne der obigen
> Definition, bei dem die Last auf m"oglichst viele Schultern verteilt
> wird, das auch attraktiv f"ur Firmen wie RedHat, Intel, Google
> etc. ist, mit m"oglichst niedrigen Schranken zum Einstieg (es gibt
> eben Leute, insbes. Firmen, die ein Problem mit SCA haben). 

Zum SCA erlaube ich mir die in einem anderen Thread behandelten FAQ
(wiki-Version) zu zitieren:
"Um ein einheitliches Copyright zu gewährleisten und Sun in die Lage zu
versetzen, ggf. gegen Lizenzverstöße vorgehen zu können, wird von allen
Beitragenden gefordert, dass sie das Sun Microsystems Inc. Contributor
Agreement (SCA) (Nachfolger des früher verwendeten Joint Copyright
Assignment) unterzeichnen."

Das SCA (bzw. das JCA) hat beispielsweise ermöglicht, dass der Wechsel
auf die LGPLv3 einfach und reibungslos vonstatten gehen konnte. Ohne
diese Konstruktion wäre er wohl kaum möglich gewesen. Auch den
Distributoren wird beim Copyright-Vermerk die Arbeit erleichtert.

Schließlich nimmt SUN auf diese Weise den Entwicklern den oftmals als
Last empfundenen "Rechtskram" ab. Ein Ziel, das beispielsweise an
anderer Stelle auch mit der FLA durch die FSFE verfolgt wird.

Man sollte nicht unerwähnt lassen, dass das SCA SUN auch die Möglichkeit
gibt, wesentliche Teile des OOo-Codes in StarOffice zu verwenden. Hätte
SUN diese Möglichkeit jedoch nicht, müsste SUN aller Erfahrung nach,
sein Engagement für OOo nicht unwesentlich reduzieren.

Übrigens musste auch Michael Meeks im Standard-Interview auf Nachfrage
zugestehen, dass auch sein Arbeitgeber in "dessen" Projekten ähnliche
Rechteübertragungen zur Voraussetzung einer Mitarbeit macht.

Und ich
> teile diese Vision, weil ich m"ochte, dass OOo auch in Zukunft
> prosperiert und mit den Anforderungen der Zeit mithalten kann (und
> daf"ur gibt es, verdammt nochmal, *unglaublich* viel zu tun im Code
> - definitiv mehr, als wir momentan Entwickler haben). Ich kann daran
> nichts Hysterisches erkennen, und die Wortwahl - ich h"atte das eine
> oder andere anders formuliert, aber im Debian-Projekt oder auf der 
> LKML fallen durchaus auch mal deutliche Worte. ;)

Visionen sind für ein Projekt existentiell. Dabei ist Phantasie gefragt.
 "OOo sollte werden wie Debian oder wie das Linuxkernelprojekt oder wie
... " erscheint mir da zu einfältig.

> Um den Kreis zu schliessen: ich denke nicht, dass sich die
> Freiwilligen der OOo-Community Sun gegen"uber in stiller Dankbarkeit
> bescheiden m"ussen; denn Sun profitiert in den genannten,
> erfolgreichen Bereichen ganz erheblich von der Community. 

Ja es ist eine Art Enterprise-Community-Partnership, die nur
funktionieren kann, wenn alle Beteiligten - jeder auf seine Weise -
davon profitieren.

Insofern
> finde ich es immer problematisch, wenn jemand nach Gutd"unken "uber
> das kollektive Arbeitsprodukt von vielen tausend Freiwilligen
> entscheiden kann, ohne die dann moralisch geschuldete Offenheit und
> Mitwirkbarkeit in den Entscheidungswegen.
> 

Niemand kann bestreiten, dass die Kommunikation zwischen SUN und der
Community noch verbessert werden kann. Ich meine aber, dass
diesbezüglich seitens der SUN-Mitarbeiter eine große Bereitschaft
vorhanden ist. Dies gilt auch für das Einbeziehen der Community in
Entscheidungsprozesse beispielsweise bei der Freigabe von Releases.

IMO sind wir da auf einem Weg, der noch lange nicht zu Ende ist.

Gruß
Michael

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